Sonntag, 6. März 2016

Das erste Mal auf einem Retreat – ein Erfahrungsbericht

Heute kommt mal ein Erfahrungsbericht. Die meisten von Ihnen wissen ja, dass ich regelmäßig auf längere Retreats (Rückzug zum Meditieren und Studium) fahre. Über Karneval wurde ein Retreat zu einem interessanten Thema angeboten, das auch für blutige Anfänger empfohlen wurde. Eigentlich nichts ungewöhnliches und vermutlich wäre es für mich eine ganz normale Wochenend-Auszeit gewesen. Aber dieses Mal gab es doch etwas besonderes: ich nahm zum ersten Mal eine ehemalige Patientin mit, was mich doch etwas nervös machte.

Das erste Mal, dass ich einer Patientin das "Du" anbieten würde (was nebenbei bemerkt auch wirklich die einzige Situation ist, in der ich das im Moment rechtfertigen kann, was nichts mit mangelnder Sympathie allen anderen gegenüber zu tun hat), das erste Mal würde ich einer Patientin in dem ziemlich intimen Kreis des Sangha (die buddhistische Gemeinschaft) begegnen, nicht als Therapeutin sondern einfach nur als Mensch und meine Themen/ Baustellen genauso diskutieren wie sie. Und so wurde es für uns beide eine bereichernde Erfahrung. Sie machte sich im Anschluss die Mühe, einen Erfahrungsbericht zu schreiben. Ich fand ihn sehr berührend und freue mich daher sehr, dass sie zustimmte, ihn auf dem Blog zu veröffentlichen.

Hier möchte ich Ihnen jetzt nur noch zum groben Überblick den Tagesablauf des Retreats aufzeigen, da dieser im Bericht nur gestört hätte: Morgens um 7:00 Uhr bis 8:45 Meditation, dann Frühstück, anschließend eine Pause, um 11 Uhr ein Vortrag, um 12 Uhr eine Meditation mit ein paar Fragen zur Reflexion. Anschließend Mittagsimbiss, gefolgt von einer Pause, 16:00 Meditation, 18 Uhr Abendessen, 20 Uhr Diskussion in Kleingruppen zum Vortrags-Thema, 21 Uhr Meditation. Ab 21 Uhr waren wir bis Ende des Frühstücks im Schweigen.

Den eigentlichen Bericht finden Sie nun hier:

Vom 05.02.2016 – 08.02.2016

1. Anfahrt / Ankunft

Nach langen hin und her unendlichen Stunden der Zweifel und voller Angst habe ich es gewagt, mich ins Abenteuer gestürzt. Die Reise an diesen Ort war schon sehr aufregend, im Zug viele fremde Menschen. Neue Orte, fremde Menschen bereiten mir steht´s und ständig Bauchschmerzen – starke Ängste stiegen in mir auf. In Essen wurde ich abgeholt und die Weiterfahrt zog sich in die Länge … Stau, Autos, Stau, Autos usw. 

Pünktlich auf die Minute angekommen, tief durchgeatmet und rein ins Getümmel. Der Empfang war so ganz anders als gedacht, sofort spürte ich diese Wärme. Etwas Magisches lag im Raum dieses konnte ich fühlen aber leider zu der Zeit noch nicht genießen. Denn meine Ängste und Anspannung hatten mich voll im Griff. Die Angst zu viel zu sein, die Angst etwas falsch zu machen, die Angst vor Abwertung / bösen Blicken blieb erst mal. Ich fand ein Haus voller fremder Menschen vor das machte mir Panik ohne Ende. Beim anschließenden Abendbrot war ich vielen Blicken ausgesetzt aber die waren voller Freude und Zuneigung etwas für mich sehr ungewohntes. Zu einer späteren Zeit gingen wir dann alle gemeinsam in den Schreinraum, eine Vorstellungsrunde begann. Ich dachte mir nur gleich musst du hier weg. Ich sollte sprechen laut vor fremden Personen unmöglich. ( große Anzahl von Personen ) Irgendwie habe ich diese Situation gemeistert, danach haben wir gemeinsam meditiert darauf habe ich  mich ehrlich gesagt wirklich sehr gefreut, der Raum, die Atmosphäre  das Ganze war mitreißend umso erschrockener war ich als ich merkte das ich keine Ruhe fand. Ich bekam Panik wollte laufen, hatte Scham, bekam kalte und warme Schauer, Magenschmerzen, mir wurde übel. Aber ich tat was alle getan haben und blieb sitzen. Nach der Meditation war Schweigen bis zum nächsten Morgen nach dem Frühstück. Da war ich nun an einem fremden Ort, mit fremden Menschen mit all meinen Ängsten, Gedanken und bisherigen Erfahrungen und keine Möglichkeit mich mitzuteilen. Nach über 6 Stunden unterwegs sein mit  dem Zug und Auto war ich froh in einem Bett zu liegen, in einem 4 Bettzimmer - Nur so zum Verständnis erwähnt. Die erste Nacht war eine Katastrophe, ich konnte nicht schlafen durch die Anspannung musste ich ständig auf Toilette und das führte dazu das ich die ganze Zeit übel große Ängste hatte alle anderen im Zimmer zu wecken. Überlebt habe ich es dennoch, soviel Vorweg...

2. Tag Meditation / Frühstück / Tagesablauf bis 22 Uhr durchgeplant

Der Nächste Tag begann wie er endete mit wahnsinnig viel Anspannung und ohne reden. Denn das Schweigen ging ja noch bis nach dem Frühstück. Die Morgenmeditation habe ich leider verpasst und das war wieder genau mein Thema. Die Gedanken rasten, die Angst wuchs, die Selbstzweifel stiegen. Klasse dachte ich Angst vor Ablehnung und schlechten Denken der Anderen und du kommst als einzige zu spät. Im Anschluss gab es dann das Frühstück. Mein erstes Frühstück im Schweigen, ich dachte mir das es ziemlich leise sein wird. Wurde aber eines besseren belehrt, denn jeder von den Anwesenden macht ja Geräusche beim Essen. Das war faszinierend wahrzunehmen, einfach mal NUR zu hören. Ich selber habe mich zu dem Zeitpunkt dennoch sehr unwohl gefühlt, war unsicher und wusste gar nicht so recht wo ich hinsehen sollte. Ehrlich gesagt war ich erleichtert als das erste Schweigen vorbei war.

Ich konnte, nein ich durfte wieder sprechen. Das war was, gleich wurde ich von dir Christiane gefragt wie es mir ging und da brach es auch schon aus mir raus. Ich hatte vorher schon geweint für mich alleine und nun wollte es eben alles nur noch raus. Ich hatte Angst vor Ablehnung weil ich die Meditationseinheit verpasst hatte, Angst weil ich nachts ständig raus musste aber zu meiner Verwunderung geschah nichts davon. Im Gegenteil ich wurde herzlich in den Arm genommen von dir und keiner aus meinem Zimmer hatte sich gestört gefühlt durch mich. Niemand hat mich angeschrien oder fertig gemacht, diese Erfahrung musste ich erst mal sacken lassen. Wieder allein im Zimmer war ich völlig aufgelöst und verwirrt zu gleich, die Tränen kullerten nur so über mein Gesicht aber ich hatte das erste Mal ein klein wenig das Gefühl das es sein darf – das ich sein darf wahrhaftig und echt. Das war ein bewegender Augenblick, dennoch waren meine Ängste nicht verschwunden oder weniger ich hielt mich weiterhin mehr im Zimmer auf. Bis du Christiane nochmal reingekommen bist und meintest los trau dich sei dabei, es wäre sonst so schade. Du bist spazieren gegangen und ich hab mich nach unten gewagt zu den anderen Retreatteilnehmern. Ich weiß nicht mehr genau was dann, nein anders wie es dann passierte aber ich begann mich zu öffnen. Ich begann Gespräche mit sehr interessanten Menschen, mir wurde warm Stück für Stück ein wenig wärmer. Ich spürte irgendwie eine seltsame Woge der Erleichterung. Sollte es denn diesmal tatsächlich anders sein, das war doch nicht möglich? Die nächste Meditationseinheit stand an, ich muss sagen ich war noch nervöser als am Abend zu vor durch die Erfahrungen vom Vortag. Wie soll ich es nur in Worte fassen, anschaulich rüber bringen das man es vielleicht ein wenig nachfühlen kann. Es war ein magischer Erguss aus vielen schönen Momenten in der Meditation fühlte ich mich frei, unbefangen, gleichzeitig aber auch gehalten und fest verankert. Danach kam die völlige Entspannung der Knoten war geplatzt, es hatte sich etwas in mir gelöst. Ein Gefühl von leichtsein machte sich in mir breit. Von nun an kann ich sagen war nichts mehr wie zuvor, wenn ich das so beim schreiben lese klingt das schon alles ein wenig skurril, unecht oder sogar erfunden. Und dennoch ich kann es wirklich mit Recht behaupten es ist genauso geschehen ohne Zauberei oder irgendwas dazu getan. Von da an war ich nicht nur dabei sondern ich konnte es spüren mit jeder Faser meines Körpers. Ich war ein Teil von allem, ich fühlte ganz bewusst in mich hinein und dort war keine Angst die ich wahrnehmen konnte. Keine Unruhe war zu spüren, ich fühlte mich aufgenommen, angenommen und bestätigt. Solch eine Erfahrung habe ich leider noch nie richtig machen dürfen, bedingungslos sollte sie sein die Liebe einer Mutter  - für mich existiert da aber nur ein schwarzes Loch wenn ich daran denke / nachfühle. So langsam bekam ich eine Ahnung wie sich das anfühlen mag, respektiert und bedingungslos geliebt und sein zu dürfen. Von Stunde zu Stunde fühlte ich mich angenommener, ich konnte sein mit all meinen Fehlern, mit all meiner Unvollkommenheit. Ich war immer wieder bei den Essen, Meditationen oder Gesprächen so bewegt  dass mir manchmal fast die Luft weg blieb. Für mich bis dahin fremde Menschen empfingen mich mit leichten Berührungen bis hin zu innigen Umarmungen, weiter ging es mit interessanten Gesprächen bis ich letztendlich an diesem 2. Tag nach der letzten Meditationseinheit  zufrieden , ja wirklich zufrieden ins Bett gegangen bin. Zufriedenheit war bis zu diesem Zeitpunkt mir als Wort bekannt, aber eine wirkliche Vorstellung wie sich das anfühlt hatte ich bis dahin nicht.

3. Tag

Am 3. Tag bin ich nach einer sehr ruhigen und für mich inneren leisen  Nacht aufgewacht, mit ja mit Migräne. Meine Seele war wohl mit so viel Glückseligkeit überfordert anders kann ich mir das Momentan nicht erklären. Somit konnte ich wieder an der Morgenmeditation nicht teilnehmen aber auch dies nahm mir niemand übel im Gegenteil alle zeigten sich etwas besorgt und fragten sogar nach wie es mir ging. Auch was die Vorträge an dem Tag anging konnte ich sie leider nicht wahrnehmen aber auch dort wurde mir gleich danach angeboten mich darüber zu informieren. Ein so starkes WIR Gefühl habe ich noch nie erlebt.

Ich möchte auch noch kurz etwas zu den kleinen Ritualen und der Puja sagen - Ohne das Ganze zu zerreden. Es war eine wahnsinnige Energie im Raum zu spüren, ich war wie verzaubert. Wir haben uns gemeinsam getragen, eben Sangha . Als die Mantras vorgesprochen wurden und wir sie wiederholt haben bekam ich von Kopf bis Fuß eine Gänsehaut – am ganzen Körper hat es gekribbelt. Ich war überwältigt von all dem Zauber, der Freude und der Liebe. Ich musste mich dann wieder in Geduld üben, weil auch danach ja wieder schweigen war bis zum nächsten Morgen nach dem Frühstück.

4. Tag

Nach der Morgenmeditation, gab es dann wieder ein gemeinsames Frühstück im Schweigen. Zum Schweigen kann ich mittlerweile sagen ich habe mich ziemlich schnell daran gewöhnt und konnte es dann sogar schon bald genießen. Diese Ruhe, die friedliche Stille, das Wahrnehmen anderer kleinen schönen Dinge die sonst im lauten miteinander unbeachtet untergangen sind. Den gemeinsamen Austausch fand ich aber genauso wichtig wie das Schweigen. Auch wie sich die Reinigung des Hauses gestaltete hat war für mich ein Erlebnis, die Aufgaben wurden verteilt und alles funktionierte reibungslos es war im Fluss wir alle schwammen im Fluss der Liebe. Zum Mittag haben wir uns dann nochmal alle unten in dem Schreinraum zur Verabschiedung getroffen. Jeder hat sich mitgeteilt ein paar Worte zu dem Retreat gesagt. Ich war so sehr bewegt mir kamen beim sammeln dort, beim  innerlichen ankommen die Tränen. Weil ich es auch heute noch kaum glauben kann was ich dort erleben durfte, es erfüllt mich so mit Dankbarkeit und Liebe – das ist ein so angenehmer Zustand. Kostbar und zerbrechlich zu gleich, möchte ich weiter an mir arbeiten. Weiter dabei bleiben ein guter, friedvoller Mensch zu sein zu mir und allen anderen Wesen auf dieser Welt.

Denn ich habe noch nie in meinem Leben über so einen langen Zeitraum keinen inneren Mangel und keine Ängste gespürt.

Ich DANKE dir nochmal von ganzen Herzen liebe Christiane das du mich dazu eingeladen hast!

Ein Bericht einer Patientin von Christiane - vielen Dank, dass wir ihn veröffentlichen durften!

2 Kommentare:

  1. Was für ein schöner Bericht! _/|\_

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    1. Vielen Dank, wir werden das an die Verfasserin weitergeben, die sich sicherlich sehr freut!

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