Samstag, 17. September 2016

Die Vier Edlen Wahrheiten: Erste Wahrheit

Als ich mich für den Buddhismus entschied, hörte ich einige kritische Stimmen aus meinem Bekanntenkreis: "Buddhismus ist so düster, da geht es ja nur um Leiden". Düster? Das kann ich nicht bestätigen. Aber um Leiden (dukkha) geht es tatsächlich. Aber nicht in dem Sinn, dass alles schrecklich ist. Es wird einfach nur anerkannt, dass eben nicht alles eitel Sonnenschein ist. Dem Unangenehmen wird ein Name gegeben, statt es rosa anzustreichen und eine Schleife drum zu binden.

Viele Leute kommen gerade durch ein erlebtes Leiden zum Buddhismus, weil sie eben erkannt haben, dass es unvermeidbaren Schmerz gibt und sie lernen möchten, damit umzugehen, um nicht immer komplett aus der Bahn geworfen zu werden, wenn mal etwas nicht so läuft, wie wir uns das vorgestellt haben. Es geht also darum anzuerkennen, dass es im Leben Leiden gibt und dass wir es kennen und sehen müssen, um weise darauf reagieren zu können. In unserer Kultur wollen wir keinen Schmerz, kein Leid, verbinden es schnell mit Schwäche, Kontrollverlust und Machtlosigkeit. Es heißt aber nicht umsonst "edle Wahrheit". Das Leid hat einen edlen Kern, denn nur durch dieses Leid kommen wir an den Punkt, an dem wir an uns arbeiten wollen, zu dem Wunsch, weiterzukommen, mehr aus unserem Leben zu machen und etwas Wunderbares in uns zum Vorschein zu bringen.

Wer nun zum Buddhismus gekommen ist, weil es ihm nicht gut geht, möchte natürlich wissen, wie er nun damit umgehen soll. Der Buddha empfahl, mit jeder der vier Wahrheiten in 3 Schritten umzugehen und sie so zu durchdringen:

1. Schritt: Die Wahrheit zu erkennen, zu verstehen
2. Schritt: Die Wahrheit zu vertiefen und zu verinnerlichen
3. Schritt: Die Wahrheit zu verwirklichen und umzusetzen.

Bei dieser ersten Wahrheit bedeutet das, zunächst zu erkennen, anzuerkennen, dass es dukkha gibt. Dass dukkha unvermeidbar ist. Das ist vom Kopf her schnell verstanden, jeder war schon mal krank, wütend, jedem ging es schon mal schlecht, jeder weiß, dass das eigentlich zum Leben dazu gehört. Vom Kopf her finde ich es leicht zu verstehen, dass ich das Leiden erstmal "einfach nur" wahrnehmen und annehmen sollte und es dadurch leichter wird. Im Alltag gestaltet sich die Umsetzung jedoch etwas schwieriger.

Extrem habe ich das z.B. letztes Jahr gespürt. Ein Patient hat sich, um es milde auszudrücken, nicht so ganz im Einklang mit meinen ethischen Werten verhalten. Es war nicht mal ein Angriff gegen mich, dennoch war ich traurig und enttäuscht. Statt die Traurigkeit und Enttäuschung mit Freundlichkeit anzunehmen, steigerte ich mich schnell in einen ziemlichen Ärger hinein und bewertete, verurteilte den "Schuldigen". Nach den ersten Metern im Auto nach Hause fing es auch noch an zu schneien. Hatte sich nun das ganze Universum gegen mich verschworen??? Es war März und da hab ich doch schließlich ein Anrecht auf Sonne!

Zuhause angekommen, war ich auf einem ziemlich Wutlevel angelangt und musste meine Wut irgendwie raus lassen. Also beschloss ich, das lange Wochenende irgendwo im Süden am Meer zu verbringen. Ich buchte einen Flug und war ein paar Stunden später auf dem Weg. Aber immer noch lief alles schief. Ich verpasste einen Anschlussflug, das folgende Flugzeug bekam wegen schlechtem Wetter keine Landeerlaubnis am Zielort, sodass wir zurückfliegen mussten und notdürftig in ein grusiges Hotel in Casablanca gesteckt wurden. Natürlich ohne Koffer oder Handykabel. Mittlerweile war so viel schief gelaufen, dass ich endlich wieder zu mir fand und mir den ganzen Mist anschauen konnte. Erst da erkannte ich die Absurdität der Situation, konnte wieder weicher, entspannter werden, mich in dem Schmerz fallen lassen und ihm mit Freundlichkeit und Wohlwollen, mit Metta halt, begegnen. Am Ende bin ich doch noch am Ziel angekommen und konnte den einen verbleibenden Tag noch am Meer in der Sonne und vor allem mit innerem Frieden genießen.

Aber wie konnte es zu dem Chaos überhaupt kommen? Der Buddha erklärte mit seinem Gleichnis von 2 Pfeilen den Unterschied zwischen unvermeidbarem und vermeidbarem Schmerz. Der erste schmerzhafte Pfeil ist der Schmerz, der unvermeidbar ist. In meinem Beispiel das Verhalten eines Patienten. Häufig schießen wir als Reaktion auf den unvermeidbaren Schmerz jedoch einen zweiten Pfeil ab, die von uns selbst produzierte leidvolle Reaktion, das vermeidbare Leiden. Wenn wir in ein aktuelles Leiden kommen, wollen wir sauer sein, wir haben ja schließlich ein Recht dazu und das leben wir dann häufig auch entsprechend durch Wut, Widerstand, Selbstvorwürfe oder Trotzreaktion aus. Manchmal verletzen wir dabei "nur" uns, manchmal auch unsere Mitmenschen.

Der erste Pfeil kommt und trifft und schmerzt ohne dass wir was dagegen tun können. Da der zweite Pfeil von uns selber geschossen wird, liegt hier unsere Möglichkeit auf die Situation einzuwirken, indem wir freundlich mit uns sind und diesen zweiten Pfeil eben nicht abfeuern, sondern stattdessen unsere Energie dafür nutzen, uns um die Verletzung durch den ersten Pfeil zu kümmern.
Mittlerweile merke ich glücklicherweise den ersten Pfeil, wenn bei mir etwas eng und unangenehm wird und sich unangenehme Gefühle anstauen. Ich habe natürlich nicht immer Zeit, mich sofort auf mein Kissen zu setzen und den unangenehmen Gefühlen die Aufmerksamkeit zu geben, die sie eigentlich bräuchten, aber zumindest kann ich annehmen dass da gerade Schmerz ist, mir bewusst machen, dass dieser Schmerz sein darf, dass er voll OK ist und irgendwann auch wieder gehen wird. Alleine diese Haltung reicht häufig, auch in dem Unangenehmen die Schönheit sehen zu können.

Ein Beitrag von Christiane.

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