Bei dem Retreat, das wir gemeinsam besucht haben, ging es um liebevolles Gewahrsein - sich selbst und
anderen gegenüber. Das fällt uns natürlich leicht, wenn es uns gut geht,
spannend wird es, wenn es mal unangenehm wird. Das erste Beispiel wurde
uns vom ersten Abend berichten. Jeder sagte, was ihn zu diesem Retreat
bewegt hat: "es passte in die Urlaubsplanung", "weil Prasadavati es
leitet", "weil ich mich für Gewaltfreie Kommunikation interessiere". Und
so kam von einer anderen Leitenden die Rückmeldung, dass es erstmal
unangenehm wurde und sie selbst ihre erste Reaktion als zu heftig
erlebte (was wir natürlich nicht so gesehen haben). Warum? Das Thema lag
ihr am Herzen lag und sie war enttäuscht, dass wir dem Thema nicht die
gleiche Bedeutung beigemessen haben.
Jeden Tag gab es ca. eine
Stunde einen Vortrag zu Achtsamkeit und Metta. Es ging darum, eine
Klarheit, Wachheit und Präsenz mit einem liebevollen, wohlwollenden und
entspannten Umgang mit sich und anderen zu verbinden. Dem, was gerade im
Moment geschieht, mit Offenheit und Neugier zu begegnen, es anzunehmen,
egal ob die Empfindung angenehm oder unangenehm ist und einfach
beobachten, wie sich die Erfahrung verändert. Wahrnehmen. Dabeibleiben.
Nicht urteilen. Dabei bleiben. Mitfühlen. Veränderungen wahrnehmen.
Miterleben. Leben.
Wir fühlten uns alle ertappt, als Prasadavati
(die das Retreat zum großen Teil leitete) beschrieb, dass wir alle davon
ausgehen, die einzige Person zu sein, die davon überzeugt ist, nach
einem Fehler oder beim Zeigen von Verletzlichkeit abgelehnt zu werden.
Die harte Erkenntnis, dass wir nicht perfekt sind. Es entsteht das
Gefühl, nicht in Ordnung zu sein und die Überzeugung, dass mich keiner
mehr mag, wenn ich mich zeige wie ich bin mit allen verletzbaren Teilen.
Als ich das nach dem Retreat einer Freundin erzählte, huschte auch über
ihr Gesicht ein Lächeln, auch ihr ging es so, froh, dass ich es
aussprach und erleichtert, dass sie damit nicht alleine ist, dass sie
nicht falsch ist und es einfach nur menschlich ist. Wenn wir das
erkennen und wirklich verstehen, dann können wir unsere Schutzmauern
einreißen. Dann können wir uns zeigen, wie wir wirklich sind und dadurch
entsteht Nähe zu anderen.
Wir machten am Ende des Retreats eine Übung,
in der es darum ging, sich zu entscheiden, ob wir uns vor den einzelnen
Gruppenmitgliedern zeigen wollten, wie wir wirklich sind, oder lieber
nicht und dass wir den Gesprächspartner sehen, wie er wirklich ist. Ich
stürzte mich in die Übung und zeigte mich direkt bei der ersten
Partnerin. Es war schön, von ihr wirklich gesehen zu werden, jedoch war
es für mich erstmal wie ein Schlag ins Gesicht, dass sie sich nicht
zeigen wollte. Da war es: "sie will sich nicht zeigen, ich bin wohl
nicht OK". Aber nur kurz, ich hatte durch diverse Übungen während der
vergangenen Tage gelernt, mir diese unangenehme Erfahrung anzusehen und
mit liebevollem Gewahrsein dabeizubleiben und so tauchte eine andere
leise und sehr wohlwollende und beruhigende Stimme auf: "es ist OK". Bei
den folgenden Kontakten beobachtete ich bei jedem einzelnen ein
Lächeln, eine Erleichterung, wenn auch ich bereit war, mich komplett zu
zeigen. An dem Abend spürte ich Verbundenheit mit allen. Wir alle hatten
das Bedürfnis, gesehen zu werden und freuten uns darüber, andere zu
sehen, wie sie sind. Eine Tatsache, die ich auch im Alltag beobachten
kann. Ob im Kontakt mit Freunden, Kollegen oder Patienten. Wenn sich
jemand zeigt, fühle ich mich demjenigen nah. Und dabei spielt es keine
Rolle, ob bei demjenigen Tränen fließen, die Nase läuft oder er gerade
Mist gebaut hat.
Das hört sich vielleicht komisch an für jemanden,
der nicht dabei war. Das spannende ist, dass es einiges geändert hat.
Die letzte Woche, wenn ich irgendwas falsch gemacht habe - und da ich
die Massen an Regeln im Maßregelvollzug noch nicht alle kenne, mache ich
alleine bei der Arbeit täglich einige Fehler - konnte ich freundlich
mit mir umgehen. Während eines Telefonats stellten Katharina und ich
fest, dass es uns beiden ähnlich geht. Wir sind beide gelassener und
fürsorglicher uns selbst gegenüber. Wir erleben weniger Druck. Und wenn
mal etwas nicht so klappt, wie wir das bei unseren hohen Ansprüchen
erwarten, tja, dann hat es halt nicht geklappt.
Das Bild hat
übrigens Tanja Stevanovic als Dankeskarte für dieses tolle Retreat
gemalt und mir freundlicherweise genehmigt, es zu nutzen.
Ein Bericht von Christiane.
Danke für den schönen Bericht. War eine Freude zu lesen, vor allem über den positiven Nachklang im Alltag!�� PV
AntwortenLöschenVielen Dank für die schöne Rückmeldung, die freut uns riesig! Und ein noch größeres Dankeschön für ein ganz wunderbares Retreat, das wirklich etwas bewegt hat und nachwirkt!
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