Samstag, 6. August 2016

Mitfühlendes Gewahrsein - lebendige Einsicht

Bei dem Retreat, das wir gemeinsam besucht haben, ging es um liebevolles Gewahrsein - sich selbst und anderen gegenüber. Das fällt uns natürlich leicht, wenn es uns gut geht, spannend wird es, wenn es mal unangenehm wird. Das erste Beispiel wurde uns vom ersten Abend berichten. Jeder sagte, was ihn zu diesem Retreat bewegt hat: "es passte in die Urlaubsplanung", "weil Prasadavati es leitet", "weil ich mich für Gewaltfreie Kommunikation interessiere". Und so kam von einer anderen Leitenden die Rückmeldung, dass es erstmal unangenehm wurde und sie selbst ihre erste Reaktion als zu heftig erlebte (was wir natürlich nicht so gesehen haben). Warum? Das Thema lag ihr am Herzen lag und sie war enttäuscht, dass wir dem Thema nicht die gleiche Bedeutung beigemessen haben.

Jeden Tag gab es ca. eine Stunde einen Vortrag zu Achtsamkeit und Metta. Es ging darum, eine Klarheit, Wachheit und Präsenz mit einem liebevollen, wohlwollenden und entspannten Umgang mit sich und anderen zu verbinden. Dem, was gerade im Moment geschieht, mit Offenheit und Neugier zu begegnen, es anzunehmen, egal ob die Empfindung angenehm oder unangenehm ist und einfach beobachten, wie sich die Erfahrung verändert. Wahrnehmen. Dabeibleiben. Nicht urteilen. Dabei bleiben. Mitfühlen. Veränderungen wahrnehmen. Miterleben. Leben.

Wir fühlten uns alle ertappt, als Prasadavati (die das Retreat zum großen Teil leitete) beschrieb, dass wir alle davon ausgehen, die einzige Person zu sein, die davon überzeugt ist, nach einem Fehler oder beim Zeigen von Verletzlichkeit abgelehnt zu werden. Die harte Erkenntnis, dass wir nicht perfekt sind. Es entsteht das Gefühl, nicht in Ordnung zu sein und die Überzeugung, dass mich keiner mehr mag, wenn ich mich zeige wie ich bin mit allen verletzbaren Teilen.

Als ich das nach dem Retreat einer Freundin erzählte, huschte auch über ihr Gesicht ein Lächeln, auch ihr ging es so, froh, dass ich es aussprach und erleichtert, dass sie damit nicht alleine ist, dass sie nicht falsch ist und es einfach nur menschlich ist. Wenn wir das erkennen und wirklich verstehen, dann können wir unsere Schutzmauern einreißen. Dann können wir uns zeigen, wie wir wirklich sind und dadurch entsteht Nähe zu anderen.

Wir machten am Ende des Retreats eine Übung, in der es darum ging, sich zu entscheiden, ob wir uns vor den einzelnen Gruppenmitgliedern zeigen wollten, wie wir wirklich sind, oder lieber nicht und dass wir den Gesprächspartner sehen, wie er wirklich ist. Ich stürzte mich in die Übung und zeigte mich direkt bei der ersten Partnerin. Es war schön, von ihr wirklich gesehen zu werden, jedoch war es für mich erstmal wie ein Schlag ins Gesicht, dass sie sich nicht zeigen wollte. Da war es: "sie will sich nicht zeigen, ich bin wohl nicht OK". Aber nur kurz, ich hatte durch diverse Übungen während der vergangenen Tage gelernt, mir diese unangenehme Erfahrung anzusehen und mit liebevollem Gewahrsein dabeizubleiben und so tauchte eine andere leise und sehr wohlwollende und beruhigende Stimme auf: "es ist OK". Bei den folgenden Kontakten beobachtete ich bei jedem einzelnen ein Lächeln, eine Erleichterung, wenn auch ich bereit war, mich komplett zu zeigen. An dem Abend spürte ich Verbundenheit mit allen. Wir alle hatten das Bedürfnis, gesehen zu werden und freuten uns darüber, andere zu sehen, wie sie sind. Eine Tatsache, die ich auch im Alltag beobachten kann. Ob im Kontakt mit Freunden, Kollegen oder Patienten. Wenn sich jemand zeigt, fühle ich mich demjenigen nah. Und dabei spielt es keine Rolle, ob bei demjenigen Tränen fließen, die Nase läuft oder er gerade Mist gebaut hat.

Das hört sich vielleicht komisch an für jemanden, der nicht dabei war. Das spannende ist, dass es einiges geändert hat. Die letzte Woche, wenn ich irgendwas falsch gemacht habe - und da ich die Massen an Regeln im Maßregelvollzug noch nicht alle kenne, mache ich alleine bei der Arbeit täglich einige Fehler - konnte ich freundlich mit mir umgehen. Während eines Telefonats stellten Katharina und ich fest, dass es uns beiden ähnlich geht. Wir sind beide gelassener und fürsorglicher uns selbst gegenüber. Wir erleben weniger Druck. Und wenn mal etwas nicht so klappt, wie wir das bei unseren hohen Ansprüchen erwarten, tja, dann hat es halt nicht geklappt.

Das Bild hat übrigens Tanja Stevanovic als Dankeskarte für dieses tolle Retreat gemalt und mir freundlicherweise genehmigt, es zu nutzen.

Ein Bericht von Christiane.

2 Kommentare:

  1. Danke für den schönen Bericht. War eine Freude zu lesen, vor allem über den positiven Nachklang im Alltag!�� PV

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    1. Vielen Dank für die schöne Rückmeldung, die freut uns riesig! Und ein noch größeres Dankeschön für ein ganz wunderbares Retreat, das wirklich etwas bewegt hat und nachwirkt!

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